Rechter Aufmarsch gegen den CSD: Was in Bautzen passierte, ist kein Einzelfall

Hass gegen Queere Rund 680 Rechtsextreme versuchten die Teilnehmer*innen des CSD in Bautzen zu stören. Der Autor Jakob Springfeld will sich in Sachsen und anderswo aber nicht einschüchtern lassen

Natürlich lassen die beängstigenden und vielfach geteilten Bilder aus Bautzen vom vergangenen Samstag hoffen, dass das Bewusstsein um die Gefahr, in der sich queere Menschen befinden, wächst. In gewisser Weise freue ich mich über die Anteilnahme, die auf Social Media sichtbar wurde. Doch dabei darf es eben nicht bleiben. Die Empörung ist online gut. Aber den örtlichen Aktivist*innen ein offenes Ohr und Unterstützung anzubieten, besser. Die 1000 Menschen, die am Samstag in Bautzen standen, um queere Rechte zu verteidigten, sind der Grund dafür, dass ich Sachsen noch mögen kann. Sie sind diejenigen, die Sachsen liebens- und lebenswert machen. Sehr viele müssten sich von ihrem Mut eine Scheibe abschneiden.

Die meisten meiner Freund*innen sind zum CSD nach Bautzen gefahren. Als ich die ersten Bilder des schwarz-gekleideten Neonazi-Mobs auf „X“ sah, wurde mir angst und bange. Mit jedem weiteren Blick aufs Smartphone sank meine Hoffnung, dass sie dort unbescholten herauskommen: Hunderte Neonazis riefen einen „Nazi-Kiez“ aus, skandierten „Zünd es an!“ in Richtung einer Person, die eine Regenbogenflagge in der Hand hielt und skandierten unter anderem rassistische Parolen. Die Polizei schien relativ machtlos danebenzustehen.

Am Samstagabend trudeln die Nachrichten wie: „Wir sind sicher zu Hause angekommen“ auf meinem Handy erscheinen, löst sich meine Anspannung, bevor sie dann wieder in Empörung umschlägt: MDR Sachsen schreibt von „rechten Gegendemonstranten“ und auch Sachsens Innenminister Armin Schuster (CDU), spricht in einem Fernsehinterview von einer „rechten Versammlung“. Mit wie vielen Reichsflaggen, Seitenscheitel und skandierten Naziparolen müssen die Rechtsextremen eigentlich noch durchs Land streifen, bis deren „rechte Versammlung“ als das benannt wird, was sie ist – ein Neonaziaufmarsch?

Ich bezweifle, dass dem Geschehen in Bautzen ohne die bevorstehende Landtagswahl in Sachsen so viel Aufmerksamkeit geschenkt worden wäre. Gleichzeitig frage ich mich, wie lange Medienschaffende oder Innenminister dieses verharmlosende Spiel noch mitspielen wollen. Das, was in Bautzen passiert, ist kein Einzelfall. Ähnliche Bedrohungsszenarien sind auch in den kommenden Wochen zu erwarten. Dort wird sich dann zeigen, ob hinter der Social-Media-Empörungswelle, mit millionenfach geklickten Kurzvideos des Neonazi-Aufmarschs, mehr steckt als ein kurzer Positionierungswunsch, um anschließend wieder alles zu vergessen.

Statements aus der Politik wirken wie Ablenkungsmanöver

Innenminister Schuster hingegen beteuert, dass die Geschehnisse sowieso „nicht typisch Sachsen“ seien, da es „Anreisen aus vielen Bundesländern“ zum Neonaziaufmarsch gegeben hätte. Doch was, wenn es schon kommenden Samstag, genau eine Woche nach Bautzen, erneut zu ekelerregenden, queerfeindlichen Szenen in Sachsen kommen könnte? Laut dem Aktionsbündnis „Platznehmen“ rufen mehrere extrem-rechte Gruppierungen zur „Fahrt gegen den CSD“ in Leipzig auf.

Natürlich betrifft die queerfeindliche Propaganda und Hetze Menschen im gesamten Bundesgebiet. Das zeigt auch der CSD, der im sachsen-anhaltinischen Burgenlandkreis, dieses Jahr zum ersten Mal Ende August in Zeitz stattfinden soll. Dort befürchten die Organisator*innen Übergriffe, denn die neonazistische Kleinstpartei „Der III. Weg“ möchte ein „Zeichen gegen widernatürliche Propaganda setzen“. Da wirkt das Statement des Innenministers einmal mehr wie ein Ablenkungsmanöver, um über „die Anderen“ zu sprechen als über ein wachsendes Bewusstsein für das, was in Sachsen passiert. Auch Ministerpräsident Kretschmer (CDU) schwieg bis Dienstag zu den Geschehnissen in Bautzen.

Das zeigt, dass sich die Anhänger*innen der wehrhaften Demokratie nicht blind auf die Politik allein verlassen können. In Sachsen gegen Diskriminierung, die extreme Rechte oder die sich zuspitzende Klimakrise aktiv zu sein, bedeutet, Widerständen zu trotzen, einen langen Atem zu behalten und die Dinge selbst in die Hand zu nehmen.

Meine Freund*innen sind letzten Samstag sicher zu Hause angekommen, der CSD in Bautzen endete ohne Angriffe. Aber der CSD in Bautzen endete auch ohne geplante queere Aftershowparty. Allen, die am Samstag, trotz der Bedrohung demonstriert haben, gilt mein Dank. Und diese Worte können nicht annähernd den nötigen Respekt zollen, der den örtlichen Aktiven, wie dem CSD-Anmelder Jonas Löschau, gebühren.

Ich sehne mich nach einem Sachsen, in dem queere, geflüchtete und antifaschistische Menschen wieder ohne Angst feiern können und die Partys von den Veranstaltern nicht aus Sicherheitsgründen abgesagt werden müssen. Lasst uns den Respekt in den kommenden Wochen nicht nur mit Worten, sondern einem Besuch in Bautzen zollen, um vor Ort mit den Menschen ins Gespräch zu kommen und ihnen so den Rücken zu stärken.

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Jakob Springfeld wurde 2002 im sächsischen Zwickau geboren und ist dort aufgewachsen. 2022 erschien Unter Nazis. Jung, ostdeutsch, gegen Rechts (Quadriga). Sein nächstes Buch Der Westen hat keine Ahnung, was im Osten passiert – Warum das Erstarken der Rechten eine Bedrohung für uns alle ist erscheint im Januar 2025, ebenfalls im Quadriga Verlag. Er ist regelmäßig auf Lesetour, um über rechte Gewalt aufzuklären